Die Urlaubsvertretung oder zeitlich
begrenzte Isolationshaft?
Heute, an einem Tag wie diesem zwischen Sonnenstrahlen und Autolärm habe ich
das Bedürfnis meine Sachen zu packen und zu fahren ans Meer. Die Weite möchte
ich fühlen, die Reinheit der Luft atmen, die Wellenschläge hören und den Wind
spüren auf meiner Haut, doch ich bleibe sitzen auf meinen Backen die man Arsch
nennt. Sechs Stunden Arbeit liegen noch vor mir, Arbeit die man eigentlich gar
nicht Arbeit nennen darf. Es kommt kein Kunde. Ich sitze auf meinem Hinterteil
und schaue immer wieder auf die Straße; sehe einen Ausschnitt des Lebens durch
Glas. Sehe eine Ampel die im selben Rhythmus die Farbe wechselt, kleine Autos,
große Autos, Menschen mit heller und dunkler Haut die meist grimmig gucken und
gelangweilt sind von ihrem eigenen Dasein.
Habe schon Zeitung gelesen, Kaffee getrunken, Bonbons
gelutscht, mich im Spiegel betrachtet um zu sehen ob die Frisur noch sitzt… Und
nun? Warten, endlos warten…wenn man wartet fließen die Gedanken schneller, ein
Rauschen, Bilder, Wortfetzen kommen und gehen flutartig. Zwischendurch Ebbe,
Leere, nichts mehr. Der Kopf ist still nur der Ton des warm gleichmäßig
pochenden Herzens ist noch wahrnehmbar. Und dann…beginnt das Spiel von vorn,
der ICE vollgeladen mit Lebensbildern fast überfüllt rast durch mein Gehirn.
Ein Kunde, zwei Kunden innerhalb von wenigen Minuten…
freundlich bin ich, lächelnd, ein kurzer Plausch und dann sehe ich ihm hinterher
dem netten älteren Mann mit dem Rollator. „Einen schönen Tag Herr Adolf“ rufe
ich noch und schon bin ich wieder mit mir allein.
…vielleicht sollte ich mit den Hemden und Hosen sprechen,
die wohl duftend hinter Folien auf Stangen gehängt ebenfalls auf menschlichen
Kontakt hoffen. Sie sehen traurig aus. Manchmal verbringen sie Tage sogar
Wochen in diesem Zustand, hängend, eingepfercht, nach Luft schnappend,
sehnsuchtsvoll den Blick zur Straße gerichtet. Gequält sehen sie aus, versehen
mit Nummern sind sie und oftmals schwer zugerichtet, weil die Nadel vom Tacker
nicht das Papier sondern sie getroffen hat. Sie leiden still und regungslos.
Doch manchmal vernehme ich ein flüstern als halten sie Kontakt untereinander.
Sie sind meine Begleiter, meine Verbündeten in diesen Stunden die ich hier
sitze und mit der Langeweile kämpfe. Sie
kämpfen mit mir gemeinsam gegen das endlose Warten, erinnern mich daran viel zu trinken um den
Wasserhaushalt meines Körpers auszugleichen, feuern mich an wenn ich im
Privatbereich des Ladens meinen Körper
stähle, sie führen meine Hand damit die Striche auf dem Papier aussehen als
wären es handwerklich wertvolle Skizzen…sie kämpfen mit mir gegen Wollmäuse.
Zigarettenpause… ich trete für einen kurzen Moment raus aus
der Stille hinein in den täglichen Wahnsinn. Begebe mich auf den
Fenstervorsprung des angrenzenden Döner-Ladens und ziehe Zug um Zug mir den
Qualm zwischen die Lungenflügel. Beim Betrachten der mir schier endlos langen Straße,
den Männern und Frauen sowie Kindern kommt mir der Gedanke… wenn ich eine
Zauberin wäre, eine Fee oder eine Hexe – nein, eine Hexe will ich nicht sein;
könnte ich die Welt für einen Augenblick anhalten und mit einem einzigen
Zauberspruch den vorbei laufenden Menschen ein Lächeln auf die Lippen zaubern.
Dann wäre diese Straße, die wirklich nicht schön anzusehen ist, um einiges
heller. Aber ich bin keine Zauberin oder Fee. Ich bin nur ein irdischer Mensch
der irgendwann, wie alle anderen auch das Zeitliche segnet. Schwups…die
Zigarette ist verglüht. Ich kehre zurück in meine mit Neonlicht bestrahlte Box
und warte erneut…
Noch eine Stunde bis zur Mittagspause, dann zwei Stunden
Freiheit.
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